Mit der Erkenntnis ihrer vielen Vorteile in der Ausübung steigt jedoch die Wertschätzung in der meist idealistisch geübten Laienkunst seit Jahrzehnten. Begünstigend wirkt ihre Anwendung in zumeist weniger großen und historischen als zum privaten neigenden Themenbereichen. Volkshochschulkurse boomen, während die ausgestellte Aquarellmalerei auf höchstem Niveau in Museen mit der klassischen Moderne weitgehend endet. Die von der Kommerzialisierung wesentlich weniger durchdrungene Kunst in der DDR zeigte hingegen deutlich eine Fortsetzung der Praxis im Aquarell und ihre zeitgenössische Modulierung, vor allem kombinatorische Verwendungen mit anderen Techniken.
Der heutige Blick auf das Aquarell sieht ihren wesentlichen Charakterzug im Malerischen. Das war nicht immer so. In der Tradition der Sammlungen wird es neben der Grafik bewahrt, der Zeichnung verwandter gesehen. Dabei war das Aquarell von Beginn an im Bewusstsein seiner einzigartigen farblichen Wirkungen wegen eingesetzt worden. Keine andere Farbe erreicht eine solche Lichtdurchlässigkeit, bei größter Reinheit der Farbpigmente und in jedem denkbaren Grad der Verdünnung. Die Farbe des Papiers bildet den hellsten Ton. Das Aquarell trocknet durch Verdunstung des eingesetzten Wassers, während die feinst vermahlenen Pigmente, mit einem geringen Anteil des Bindemittels Gummiarabikum versetzt, in die Papierschicht einsinken. In klassisch verdünnter Anwendung verliert die Aquarellfarbe nach der Trocknung jede körperhafte Wahrnehmung, erscheint als Leuchten des Papiers. Geringste Nuancen in der Farbdicke und der Pinsellavur, ja der Einfluss des Wassers bleiben sichtbar und schaffen den Eindruck einer sehr bewegten und lebendigen Malerei.
Aquarellmaler wandten sich meist und gern der kleineren Form zu. Harte Kontraste im Helldunkel und große Gesten sind quasi unmöglich. Dafür bieten sich andere Farben besser an. Akzente durch plastische Erhabenheit und materiale Taktilität gelingen nicht. Ihr Revier sind die leuchtenden Farben aus reinen Pigmenten und deren Verdünnung bis fast ins Nichts. Sie interagiert sehr differenziert mit den Eigenheiten der verwendeten Papiere und den Möglichkeiten der eingesetzten Pinsel.
Ihre Eigenart, dem Betrachter als farbiges Licht zu erscheinen, zeigt ihre besondere Eignung für die Beschreibung atmosphärischer Situationen. Dies verbindet sie überraschend mit der Fotografie, auf deren Bildvorlagen sich jüngere Aquarellist:innen gern beziehen.
Wesentliches Kennzeichen aller Aquarellmalerei ist ihr spontaner Charakter, der dem Betrachter die Hand der Maler bis hin zum Zögern und Zittern sichtbar werden lässt.
Die 18 vorgestellten Positionen zeitgenössischer Aquarellmalerei in Deutschland repräsentieren sehr unterschiedliche künstlerische Haltungen von Künstler*innen zwischen 30 und 85 Jahren, mit künstlerischer Sozialisation in Ost und West und nach der Wende. Weibliche und männliche Stimmen sind gleichermaßen vertreten.
Die Ausstellung zeigt neben der unverdrossenen Arbeit am klassisch gewachsenen Maßstab, vor allem jüngere Künstler*innen als Entdecker*innen und unkonventionelle Experimentator*innen und sie zeigt Versuche, in der Ökonomisierung durch Innovation eine Chance zu gewinnen. Auffälligstes Merkmal ist das Anwachsen der Formate bis zu Wandgrößen. Mehrteilige Arbeiten erreichen repräsentative Dimensionen und dank heute hoch ambitionierter Rahmungstechnik auch einen hochwertigen Eindruck. Daneben wird experimentiert mit alternativen, meist auch in die Größe strebenden Werkzeugen, unterschiedlichsten Papieren und anderen Trägermaterialien, mit der kombinierten Verwendung weiterer Farbmaterialien. Auch Bildobjekte entstehen. Die traditionell subtile und handwerklich meisterhafte Anwendung des Farbmaterials erweitert sich um Spuren des Lockeren, Nachlässigen und Gröberen. Der Zufall wird genutzt. Er stellt genau genommen durch die physikalischen Eigenheiten der Materialien eine stetig wiederkehrende Aufgabe für die Ausübenden dar. Zugleich kehrt Dürers konturenbetonende, die Zeichnung lavierende Anwendung in neuem Gewand zurück.
Mit dem Weg über die näheren Bedingungen ihres Entstehens versucht diese Ausstellung künstlerische Prozesse und Werke den Besucher*innen tiefer erfahrbar zu machen. Sie werden gestärkt zu neuen Beobachtungen kommen und differenzierte, im Werk begründete Wertschätzung entwickeln. Parallel zum Ausstellungsangebot kann man deshalb die typischen Werkzeuge der Aquarellmaler kennenlernen und in praktischen Angeboten selbst Erfahrungen im Umgang mit Material und Werkzeug sammeln.
Positionen: Martin Dammann, Klaus Drechsler, Petra Flierl, Dieter Goltzsche, Karl Herrmann, Hans-Peter Hund, Leiko Ikemura, Uwe Kowski, Katja Lang, Corinne von Lebusa, Hermann Lindner, Achim Riethmann, Maren Ruben, Cornelia Schleime, Anija Seedler, Max Uhlig und Anne Ullrich